Marxistische Gewerkschaftstheorie 3: Abendroth sieht eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften darin, den Arbeitern bewusst zu machen, dass alles, was sie vom Gesetzgeber erhalten, durch ihren eigenen Kampf erstritten worden ist.
Mit Einführung der Sozialpartnerschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dachten viele Zeitgenossen Abendroths, dass Klassenkämpfe unnötig geworden waren. Die Arbeitsverhältnisse und Sozialleistungen schienen sich – zumindest in den entwickelten Ländern – aus einer Systemlogik heraus zu verbessern. Und in den Nachkriegsboomjahren erachteten viele die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus für überwunden.
Abendroth hielt dies für eine gefährliche Einschätzung der Situation. In diesem Ausschnitt seines Seminars zur marxistischen Gewerkschaftstheorie führt er seine Bedenken aus.
Da der Kapitalismus auf Dauer nicht krisenfrei sein konnte, war es für ihn vorhersehbar, dass bei der nächsten größeren Krise alle Zugeständnisse wieder zurückgenommen würden, die Arbeiterklasse dann aber verlernt hätte zu kämpfen.
Insofern hielt er es für eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften, bei Arbeiterinnen und Arbeitern das Klassenbewusstsein aufrecht zu erhalten. Man müsse ihnen immer wieder bewusst machen, dass die Einführung eines beliebigen Gesetzes, z.B. eine Arbeitszeitbeschränkung, nicht die Folge einer Konzession der öffentlichen Gewalt, sondern Ergebnis eines (möglicherweise zurückliegenden) Kampfes sei, das jetzt durch ein Gesetz gesichert werde.
Wenn man dieses Bewusstsein aufrecht erhält, so Abendroth, dann sei ein gesetzgeberischer Fortschritt wirklich ein Fortschritt. Könne man dagegen dieses Bewusstsein nicht erzeugen, dann betrachten die Arbeiter den Staat als Versicherungsamt, von dem sie kampflos Bezüge bekommen.
Das Problem der Gewerkschaftsbewegung in der ökonomischen Aufschwungsperiode der Bundesrepublik Deutschland sei es gewesen, so Abendroth weiter, dass sich die Gewerkschaften in sehr vielen Fällen auf einen gesetzgeberischen und tarifvertraglichen Automatismus verlassen und nicht die Massen mobilisiert hatten.
Das dürfe man nicht, sondern man müsse beides tun. Damit sei man wieder bei dem Problem der Verwandlung der Klasse an sich in eine Klasse für sich, die weiß was sie tut und was sie erstreitet. Das sei das zentrale Problem jeder Gewerkschaftsbewegung überhaupt.
„Diese Veränderung aus der Rolle einer bloßen Klasse an sich in die Klasse für sich kennt x Grade und x Veränderungen in sich selbst. Das ist ein ständiges Hin und Her. Solange eine Gesellschaftsordnung im Wesentlichen von herrschenden Klassen bestimmt ist, wirkt ja das Gesamtbewusstsein der Gesellschaft immer der Bildung wirklich verselbständigten Klassenbewusstseins entgegen und beherrscht die meisten Individuen – auch der Arbeiterklasse. An einer konkreten Frage lernen sie dann ‚Ja hier müssen wir kämpfen!‘ und da steht die Gegenklasse auf einem anderen Standpunkt.“
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