Marxistische Gewerkschaftstheorie 5: Wolfgang Abendroth erläutert, dass eine Transformation der Gesellschaft voraussetzt, dass immer wieder Klassenkämpfe innerhalb des Systems geführt werden.
Im Seminar über marxistischen Gewerkschaftstheorie erklärt Abendroth, dass alle gegenwärtigen Kämpfe immer nur Kämpfe innerhalb des bestehenden Systems sein können und noch keine Kämpfe um seine unmittelbare Transformation sind. Aber:
„Führe ich diese Kämpfe innerhalb des Systems nicht zur möglichsten Erweiterung des Spielraums der Arbeiterklasse, kann ich den Kampf um seine unmittelbare Transformation des Systems, der auf mich zukommt, nicht führen.“
Die Situation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts skizziert Abendroth so: Die Arbeiterklasse habe noch nicht gelernt,
„dass innerhalb dieses Systems die Kapitalistenklasse, und hier praktisch das Monopolkapital, ihr Gegenspieler, nicht ihr Mitspieler ist, dann kann sie auch nicht lernen, dass sie eines Tages dieses System abschaffen muss. Das kann sie aber durch Erfahrungen in den täglichen Klassenkämpfen innerhalb des Systems, zu lernen beginnen. Sie kann es erst recht, wenn ich diesen Kampf ständig nicht nur mit den eigenen Kampferfahrungen, sondern mit der systematischen Erweiterung der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit verbinde.“
Denn eine Transformation kommt nach marxistischer Auffassung nicht spontan:
„Ein Umschlag findet erst dann und nur unter der Voraussetzung statt, dass
a) die große Majorität der abhängig Arbeitenden bereit ist, diesen Umschlag zu wollen – gegen ihren Willen kann ich diesen Umschlag nicht herbeiführen – und
b) bereit ist, für diesen Umschlag zu kämpfen.“
Abendroth warnt vor zu hohen Erwartungen an die Geschwindigkeit der Transformation in eine nicht-kapitalistische Gesellschaft. Auch nach dem Umschlag beginne noch eine sehr lange Transformationsperiode, wie man in den sozialistischen Ländern sehen könne.
„Natürlich reproduziert sich noch auf sehr lange Zeit ständig bürokratisches Gewohnheitsbewusstsein in allen verwaltenden Schichten. Auch in den verwaltenden Schichten der eigenen Bewegung. Das ist unvermeidlich. Und ich muss wissen, dass es so ist. Und ich muss wissen, dass ich immer wieder lernen muss, diese Situation langsam zu verändern. Ich kann also nicht von einem Umschlag an einem Tage reden, sondern auch nur von einem Umschlagsprozess, der erst dann in vollem Maße einsetzt, wenn die Gesamtgesellschaft über alle großen Produktionsmittel und die übrigen wirtschaftlichen Kommandohöhen verfügt.“
Zur Lage während des Kalten Kriegs erläutert Abendroth, dass er und seine Zeitgenossen in einer Periode lebten, in der die Rüstungswirtschaft immer größeren Umfang angenommen hat und eins der entscheidenden Mittel auch der ökonomischen Aufrechterhaltung des Systems geworden ist. Man müsse lernen, den Arbeitern klar zu machen, dass jede Erweiterung des Wehrsystems auf ihre Kosten gehe. Erstens rein materiell (z.B. auf Kosten der Sozialsysteme) und zweitens auf Kosten der eigenen Existenz. Deshalb wäre es notwendig, mindestens in der Gewerkschaftsbewegung auch diese Problematik immer wieder in jeder täglichen Auseinandersetzung mit in die Diskussion mit einzubeziehen.
Dabei warnt Abendroth die Gewerkschafter davor, sich in das antikommunistische oder anti-westliche Freund-Feind-Denken des Kalten Kriegs einbinden zu lassen. Vielmehr sieht er ihre Funktion darin, in der Konfrontation verständigend und deeskalierend zu wirken:
„Man darf auch solche Auseinandersetzungen nicht als parteipolitische, sondern als gewerkschaftspolitische Auseinandersetzung führen und man sollte gewerkschaftspolitisch fordern, dass man sich nicht sich zu irgendeinem Staatssystem gegenüber einem anderen bekennt und umgekehrt (das gilt für die sozialistischen Länder natürlich genauso), sondern dass man sich zur unmittelbaren Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer bekennt.“
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