Marxistische Gewerkschaftstheorie 6: Wolfgang Abendroth betont die Bedeutung von Einheitsgewerkschaften und die Notwendigkeit überparteilicher Diskussionen.
In der Diskussionsrunde des Seminars skizziert Abendroth sein Modell und seinen Anspruch an eine Gewerkschaftsbewegung:
„Habe ich eine breite Bewegung – die brauche ich – von der ich weiß, sie kann nur handeln, wann und wo sie einheitlich handeln will. Wo also das Bewusstsein der ungeheuren Majorität der Mitglieder soweit entwickelt ist, dass sie das einheitliche Handeln wollen. Und wo es gleichzeitig natürlich gleichzeitig mehrere miteinander streitende und diskutierende theoretischen Richtungen gibt, die in Fragen der Analyse und der wissenschaftlichen Einordnung divergieren, wird es immer so sein, dass jede der diskutierenden Richtungen davon überzeugt ist, ‚meine Auffassung ist richtig‘. Sonst könnte das Ganze überhaupt nicht funktionieren. Daher muss ich jedem die Freiheit lassen, seine Auffassung zu vertreten.“
Wer in Wirklichkeit recht hat, entscheide sich an der Praxis und am wirklichen geschichtlichen Verlauf.
Auch die von ihm skizziert marxistische Gewerkschaftstheorie solle keineswegs, „die anderen in Instrumente […] verwandeln“, erklärt Abendroth. Vielmehr wolle er „die Meinung einer bestimmten Gewerkschaftstheorie als die nach meiner Meinung nach richtigste“ vortragen, so wie er von anderen erwarte, dass sie dasselbe tun.
„Und dann muss sich an jeder konkreten Frage die Möglichkeit ergeben zu entscheiden, wo ist das konkrete Zusammengehen noch möglich, wo nicht. Und wo muss ich, weil die Praxis anders entschieden hat, eventuell auch meine theoretischen Auffassungen ändern.“
Die Diskussion der Seminarteilnehmer schwenkt schließlich zur Frage der Rolle von Gewerkschaften im Sozialismus.
Sozialismus sei eine Entwicklungsstufe der Menschheitsgeschichte, so Abendroth. Man gehe gerade – u.a. in den damaligen Ostblockländern – zu sozialistischen Eigentumsformen an den ökonomischen Spitzen über und hebe das normale Profitprinzip als Dirigenten des ökonomischen Prozesses auf.
Damit verschieben sich für Abendroth in den sozialistischen Ländern alle Probleme: Das Problem des Klassenkampfes in alter Form bestehe zwar nicht mehr, aber viele Probleme, die die Situation der abhängig Beschäftigten beeinflussen, bestünden weiter. So habe man unvermeidlich noch auf Jahrzehnte „managerhafte und bürokratische Manipuliermethoden“ in der Ökonomie erhalten.
Man könne gar nicht in einem Sprung zu völliger Selbstverwaltung der Produktion gelangen. Dazu seien a) die Masse der Industriearbeiter und anderen abhängig Arbeitenden gar nicht reif, weil ihnen die Bildungsvoraussetzung fehlten und die Zeit sich die entsprechende Ausbildung zu holen und dazu seien b) auch in den Köpfen derer, die dann dirigierend mitwirken die Tendenzen viel zu groß, sich dann des bequemen Mittels des bürokratischen Manipulierens zu bedienen. Eine ganze Gesellschaft könne ihre Mentalität nur in sehr vielen Generationen und mit mühseliger Arbeit verändern.
Weil dem so ist, werde es auch im Übergang zum Sozialismus immer noch Widersprüche sowohl in der Lebenshaltung, wie in der kulturellen Versorgung, wie in den Verhaltensweisen zwischen großen Teilen der früher ausgebeuteten Arbeiterklasse geben. Und so ergibt sich laut Abendroth immer wieder die unvermeidliche Tendenz, bürokratisch zu verfahren und einzelne Arbeitnehmer auf Kosten anderer zu benachteiligen.
Gerade deshalb bedarf es für Abendroth auch in einer sozialistischen Gesellschaft noch für viele Generationen gewerkschaftlicher Organisationen, die sich dabei des Interesses des einzelnen Arbeitnehmers widmen und hier vermittelnd eingreifen und ausgleichend wirken:
„Die Gewerkschaften ändern [im Sozialismus] ihre Funktionen und behalten eine Funktion und haben eine neue gewonnen, in der unmittelbaren Verwaltung des Produktions- und des Verteilungs- und des Kulturapparats im Interesse des Einzelnen ständig als Gegengewicht gegen Bürokratie und Sonderinteressen der verschiedensten Art mitzuwirken.“
Wie sehr man Gewerkschaften auch in den sozialistischen Ländern benötigt, könne man beispielsweise an der Geschichte der Gewerkschaftsbewegung in der UdSSR nachlesen, wie er in der Diskussion genauer ausführt.
Auch die Gewerkschaften kämpfen weiterhin mit Gefahr der Bürokratisierung und des Sich-abfindens mit der jeweiligen Situation. Es gäbe keine Bürokratie, die hier nicht Tendenzen in dieser Richtung entwickelt und die durch freie demokratische Diskussion ausgeglichen werden müsse.
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