Marxistische Gewerkschaftstheorie 7: Wolfgang Abendroth erörtert, inwieweit ökonomische Krisen die Bewusstseinsbildung der Arbeiterklasse befördern.

In dieser Diskussionsrunde des Seminars zur marxistischen Gewerkschaftstheorie warnt Abendroth davor, politisch auf die Wirkung ökonomischer Krisen zu setzen und darauf zu hoffen, dass sich hieraus automatisch eine revolutionäre Situation ergibt, die in eine demokratische Gesellschaft führt.
Vielmehr hätten schwere ökonomische Krisen, ein ökonomischer Rückfall der Arbeiterklasse zunächst nur Katastrophenbewusstsein zur Folge. Und ein solches Katastrophenbewusstsein könne nach jeder Seite ausschlagen.

 

Ein typisches Beispiel hierfür sei der Sieg des Faschismus in Deutschland oder ähnlich der Sieg des Faschismus in Italien ab 1922:

„Totale Verelendung breiter Massen braucht nicht zu progressiv-demokratischen oder sozialistischen Lösungen zu führen, sondern kann ebenso zum genauen Gegenteil führen. Die Arbeiterklasse hat dann nicht zu kämpfen gelernt. Nicht gelernt, Positionen zu erkämpfen und zu bewahren. Und sie läuft dann dem zu, der ihr alles Mögliche verspricht, aber im Interesse der großen Monopole und der großen Konzerne [handelt]. Dadurch, dass die Arbeiterklasse in der kapitalistischen Gesellschaft lernt – in dieser Gesellschaft, aber im Kampf gegen die kapitalistischen Klassen – ihre Interessen zu vertreten, wird sie mindestens zum Teil bereit, an die Grenzen dieser Möglichkeiten zu denken und sich weiterführen zu lassen.“

Die Bewältigung einer Krise in eine demokratische und anti-kapitalistische Richtung sind für Abendroth an Voraussetzungen gebunden:

„Eine schwere Krise der kapitalistischen Gesellschaft kann, wenn wir eine kampfbereite, kampfgewillte und geschulte Arbeiterbewegung haben, natürlich dazu führen, dass man sagt ‚Nun aber Schluss. Nun nehmen wir die Produktion selbst in die Hand. Nun ändern wir das ökonomische System.‘  Haben wir sie aber nicht, oder ist die Arbeiterbewegung zersplittert, so strömen die Massen erfahrungsgemäß irgendwelchen abenteuerlichen Experimenten zu und sind zugunsten desgleichen Systems manipulierbar geworden.“

Abendroth warnt weiter davor, dass eine ökonomische Krise auch immer zu einem neuen globalen Krieg führen kann, wenn ein solcher Krieg zur Lösung der Krise gewählt wird. Das sei zum Beispiel 1914 und 1939 so gewesen:

„Das ist eine Gefahr, die keineswegs behoben ist. Gewöhnen wir die Arbeiterklasse nicht daran, wenigstens in Einzelfragen um ihre Existenz zu kämpfen und die Gegenklasse zu kontrollieren, lässt sie abermals freie Bahn zu derartigen Experimenten. Nur ein derartiges drittes Experiment wäre der Selbstmord der industriellen Kultur überhaupt. Und eben deshalb können wir gar nicht auf diese ständige noch so mühselige, noch so widerspruchsvolle Schulung am Kampf im kapitalistischen System selbst verzichten. Wir können es nicht wegen der Portemonnaies und der Arbeitszeit und der Arbeitsbedingungen der Arbeiter. Wir können es nicht, weil wenn wir auf diesen Kampf und auf die Schulung in diesem Kampf verzichten würden, keinerlei Gegenmittel, wenn sagen wir einmal ein Überfall auf den Sender Gleiwitz wiederholt wird. Und denkt nicht, dass Monopolkapitalisten von heute in solchen Dingen zartfühlender wären, als es die Monopolkapitalisten damals gewesen sind.“