Marxistische Gewerkschaftstheorie 8: Parteien organisieren das politische Lernen, und parteipolitisch unabhängige Gewerkschaften den gemeinsamen Kampf – Wolfgang Abendroth erläutert, wie diese Aufgaben miteinander verschränkt sind.
Soll man sich als linke/r Gewerkschafter/in in einer etablierten Partei engagieren? Oder braucht die Gewerkschaftsbewegung eine neue, sozialistische und klassenkämpferische Partei? Diese Frage bewegte in den 1970er und 1980er Jahren viele engagierte Gewerkschafter.
Wolfgang Abendroth nimmt in der Fragerunde des Seminars zur marxistischen Gewerkschaftstheorie Stellung und erörtert die unterschiedlichen Gesichtspunkte dieses Fragekomplexes.
Er kommt zunächst zum Verhältnis verschiedener Arbeiterparteien untereinander. So könne es zeitweilig unterschiedliche Arbeiterparteien geben, die jedoch immer in der Lage sein müssten, Bündnisse zu schließen oder wieder in einer einheitlichen Arbeiterpartei zu verschmelzen. Abendroth erläutert das Problem anhand der Entstehung der KPD und der Kommunistischen Partei – Opposition (KPO) in der Weimarer Republik. So habe sich die KPD in den 1920er Jahren nicht mehr als Konkurrenz zur SPD verstanden. Sie glaubte vielmehr, die SPD angreifen zu müssen. Die KPO dagegen, der Abendroth selbst angehörte, habe sich gegen diese Linkswende gestellt und versucht, zwischen der Arbeiterparteien Brücken zu bauen. Diesen Ansatz, zwischen Arbeiterparteien zu vermitteln, hat Abendroth zeitlebens beibehalten und verteidigt.
Daraufhin beleuchtet Abendroth das Verhältnis von Gewerkschaften und Parteien. Gewerkschaften hätten parteipolitisch ungebunden zu sein, zumindest wenn man sich auf Karl Marx berufen möchte. Dieser habe großen Wert auf die parteipolitische Ungebundenheit der Gewerkschaften gelegt, wie man etwa an seinen Vorschlägen zu den Beschlüssen des Genfer Kongresses der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) von 1866 sehen könne.
Marx sei aber auch der Meinung gewesen, man brauche neben den einheitlichen Gewerkschaften eine Partei, die den politischen Prozess bewusst leitet und organisiert. Nicht um die Gewerkschaften zu ersetzen, sondern um Strategien – zum Beispiel Strategien im Kampf um die Demokratisierung staatlicher Organe – anbieten zu können.
Es gäbe hier natürlich nie die eine irrtumsfreie Partei und auch Parteispaltungen: Marx sei sich klar gewesen, dass an vielen Ecken Ansätze zu Arbeiterparteien auch mit zum Teil zurückgebliebenen Bewusstsein entstehen. Aber dass man auch hier ständig darum bemüht sein müsse, diese Ansätze zu einer einheitlichen Arbeiterpartei, die solche Strategien entwickeln kann, langsam zusammenzuführen und zusammenzustreiten.
Abendroth veranschaulicht am Beispiel der Lassalleaner, dass Marx dies selbst praktiziert hatte. Marx hätte kein Problem gehabt, mit den Lassalleanern in Verbindung zu treten, auch wenn er deren Ablehnung der Gewerkschaftsarbeit für völlig falsch hielt. Aber die Lassalleaner waren nun mal ein historischer Fakt mit dem man arbeiten musste.
Abendroth kommt daraufhin zum ständigen Wandel der Verhältnisse zwischen Gewerkschaften und Partei. Während es in der Periode der II. Internationalen in fast allen Ländern zur Vereinheitlichung der sozialistischen Parteien kam, hatten die Gewerkschaften mit Spaltungen zu kämpfen. In einer Reihe von Ländern wie Deutschland entwickelten sich die Gewerkschaften zu Richtungsgewerkschaften, da bürgerliche Parteien und die Kirchen versuchten, neben den freien Gewerkschaften eigene Gewerkschaften zu schaffen (z.B. die Hirsch-Dunkersche Gewerkschaften, die jeden Streik ablehnten). Diese Aufspaltung in Richtungsgewerkschaften behinderten den Kampf der Arbeiterklasse.
Doch die gesellschaftlichen Funktionen von Arbeiterparteien und Gewerkschaften bleiben trotz aller historischen Verwerfungen klar beschreibbar.
- Laut Abendroth habe Marx Recht gehabt, als er 1866 in der IAA den Beschluss durchsetzte, man müsse kämpferische Gewerkschaften erstreben, die aber parteipolitisch unabhängig sind und in denen diskutiert werden kann und diskutiert werden soll über alle späteren Fragen etwa der Transformation in eine sozialistische Gesellschaft. Bei denen aber nicht irgendein Bekenntnis zur Bedingung der Mitarbeit gemacht werden kann. Den sie müssen aus den einzelnen Kämpfen lernen und zum Kämpfen geführt werden.
- „Das Zum-Lernen-führen und das Lernen organisieren, das war nach Marx Meinung nun Aufgabe der politischen Partei der Arbeiterklasse. Die sich also auf engere, in ihren Denkprozessen weiterentwickelte Gruppierungen stützen sollte.“ Und diese Partei sei somit verpflichtet, die Gewerkschaftsbewegung voll zu unterstützen und in der Gewerkschaftsbewegung mitzuarbeiten, wenn auch nicht das Kommando anzustreben. Denn das Kommando darin musste sich aus den inneren Diskussionen der Gewerkschaftsbewegung ergeben. Je nach dem Reifegrad dessen, was die Arbeitermassen insgesamt gelernt haben. Das sei zumindest das Verhältnis von Partei und Gewerkschaften wie Marx und Engels es bis zu ihrem Tod gesehen haben.
Abendroth schwenkt schließlich den Blick in die Gegenwart der 1970er Jahre: Die Situation der Bundesrepublik sei, dass die SPD keine Massenpartei für Arbeiter sei und nur die DKP, eine organisierte Randgruppe, das sein möchte.
Nun sei es schon so, dass man eine einheitliche Arbeiterparteien anstreben solle. Eine Spaltung der Arbeiterparteien wie in den 1970er Jahren bedeute aber nicht, dass man als Gewerkschaft kampfunfähig sei und Niederlagen erleiden müsse. Abendroth erinnert hier an die zentrale Rolle der Gewerkschaften bei der Abwehr des Kapp-Putsches von 1920, an die Massendemonstrationen beim Mord an Matthias Erzberger 1921 und Walther Rathenau 1922. Und er verweist auf den Wahlerfolg von Salvador Allende in Chile 1970, der nur durch ein Bündnis von Arbeiterparteien und Gewerkschaftsbewegung an die Macht kommen konnte.
„Spaltung der Arbeiterparteien braucht also kein Gift zu sein, sondern wo sie da sind, soll man von dem Tatbestand ausgehen“. Das gelte heute für die Franzosen, Italiener, Spanier und andere. Sie könnten zusammenkommen. „Die Gewerkschaftsbewegung sollte gleichwohl möglichst nicht gespalten werden, sondern überparteilich werden. […] Mögen doch daneben mehrere Arbeiterparteien bestehen. Bestehen sie im Konkurrenzverhältnis zueinander, aber bereit notfalls Bündnisse abzuschließen, dann wird sich erweisen, welche die klügere und richtigere Politik hat und sie können gemeinsam mit den Gewerkschaften auch den Übergang zum Sozialismus erkämpfen.“
Der Beitrag schließt mit einigen Ergänzungen zur Lage in den sozialistischen Ländern. Auch hier bedürfe man der Gewerkschaftsbewegung als pluralistischen Korrektor. (siehe hierzu ausführlicher den Teil 6: Einheitsgewerkschaft, Diskussionsfreiheit und Gewerkschaften im Sozialismus).
Weiterlesen
Richard Heigl: Wolfgang Abendroths Parteitheorie, in Utopie Kreativ Nr. 187, Mai 200, 408-416.
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