Geschichte der Betriebsverfassung – Teil 6

Die Diskussionsrunde im Anschluss an das Seminar erörtert die aktuelle Lage und die Zukunft der Gewerkschaftsbewegung im Jahr 1977.

 

Wirtschaftliche Stagnationsphase, konventionelles und nukleares Wettrüsten

04:20: Abendroth versucht eine Einschätzung der historischen Lage:

Mit der vergangenen Krise scheint in dem monopolkapitalistisch gewordenen Weltsystem eine sehr lange Aufschwungsperiode in eine langfristige Stagnationsperiode übergegangen zu sein.
Und in der vorausgehenden Periode hatte die Arbeitgeberseite noch ohne Kampf bei bloßer gewerkschaftlicher Druckdrohung erhebliche Konzessionen gemacht. Der Lebensstandard der deutschen und in Teilen der amerikanischen Arbeitnehmer stieg so zum höchsten der Welt. In einer langen Stagnationsperiode sei aber ohne Kampf mit keinen weiteren Konzessionen zu rechnen.

07:05: In einer Stagnationsperiode könne zudem auf der Gegenseite wieder die Tendenz „zu abenteuerlichen Lösungen“ wachsen. In jeder langen Stagnationsperiode sei die Tendenz zum Abenteuer gewachsen – vor allem wenn eine große Krise wie 1929 dazukomme. Und für Abendteuer biete die aktuelle historische Periode Grundlagen, die noch extremer sind, als man sie in bisherigen kapitalistischen Perioden hatte. Denn in der letzten Wachstumsperiode sei der Anteil von „unmittelbar sinnlosen Zerstörungspotenzialen“ an der Gesamtproduktion (in der Rüstung) so extrem gestiegen, wie man es in der Geschichte noch nie gesehen habe.
Abendroth warnt daher die Zuhörer: Sind so ungeheure Zerstörungsmengen einmal da, so kann die Tendenz zur Explosion und zum sinnlosen Abenteuer wieder größer werden. Damit müsse man rechnen, wenn sich Stagnation und Krise gegenseitig addieren.

 

Kampf für Abrüstung und internationale Solidarität als Hauptaufgabe der Gewerkschaften

09:23: Die Hauptaufgabe der Gewerkschaften wäre hier gegenzusteuern.

Die Gewerkschaften müssten für jede materielle Position mit Druck ringen, aber auch kampfbereit sein. Die Gewerkschaften müssten sich auch stärker des Abrüstungsproblems annehmen, um die oben genannten Gefahren zu beschränken. Es genüge nicht, dass der SPD-Bundesgeschäftsführer Egon Bahr entschieden gegen die Neutronenbombe Stellung nimmt. Es sei auch erforderlich, dass sich die Gewerkschaften solcher Fragen annehmen und in der Atomrüstungsfrage wie auch in anderen Rüstungsfragen Kompromisse erzwingen, die das Aufrüsten stoppen und eine Abrüstung anbahnen, um die Lebensinteressen der Arbeitnehmer zu sichern.
Und die Gewerkschaften dürften sich auch nicht mit dem Arbeitsplatzargument übertölpeln lassen. Man könne und müsse das Kapital zwingen, in vernünftige Aufgaben zu investieren. In Deutschland würde das bedeuten, den Kampf um die Mitbestimmung in den großen Betrieben zu führen.

12:10: Das heißt für Abendroth weiter, die Gewerkschaften müssten sich stärker des Bündnisses mit den noch nicht entwickelten Nationen annehmen, also aktiver werden, etwa im Kampf gegen die Rassentrennung in Südafrika, um diesen Willen zur internationalen Solidarität zu stärken.

12:40: Die Aktivitäten der Gewerkschaften in dieser Richtung seien aber noch sehr gering und beim Bildungsstand der Massen in der Bundesrepublik hätten sie für solche Aktivitäten noch nicht den Rückhalt in den Massen, den sie haben müssten. Weil der Normalbürger gar nicht mehr in solchen Problemen denke, sondern sich an die Erfolgslage gewöhnt habe und glaubt, dass er ernstlich durch die UdSSR sozialistischen Länder bedroht sei. Eine Auffassung, der Wolfgang Abendroth widerspricht.

 

Zu den Taktiken der Gegenseite in rechts- und verfassungspolitischen Kämpfen

14:27: Ein großer Teil des Monopolkapitals und ein großer Teil der Staatsgewalt wollten jedoch diesen geringen Bewusstseinsstand und den geringen Kontrollstand durch jede Form der Mitbestimmung erhalten.

16:05: So sei es nicht zufällig nach dem Mitbestimmungsgesetz von 1951 zur Verfassungsklage der Arbeitgeberseite gekommen.

Diese Klage sei auch seitens der Arbeitgeber gar nicht geboten gewesen, da die Mehrheitsverhältnisse für die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat ohnehin garantiert waren. Sie erwarteten eine Ablehnung ihrer Klage durch das Verfassungsgericht. Aber man habe sich für künftige Angriffe der Arbeitnehmer rüsten wollen und wollte sich nur über die Begründung der Abweisung durch das Verfassungsgericht bestätigen lassen, dass die Eigentumsrechte an Produktionsmitteln nicht aufgehoben oder verändert werden dürfen, da ja die Eigentumsrechte im Grundgesetz nicht festgelegt sind.

18:32. Abendroth skizziert hierzu die Aussagen des Grundgesetzes zur Eigentumsfrage, sowie die nachfolgenden Diskussionen in der Staatsrechtslehre zu diesem Thema.

So habe noch auf der zweiten Staatsrechtslehrertagung nach dem Krieg 1951 einer der führenden Ideologen des Arbeitgeberstaatsrechts, Hans Peter Ipsen, die Auffassung vertreten, dass selbstverständlich nach Art. 15 GG mit geringer Entschädigung sozialisiert werden könne. Heute sei dagegen die herrschende Meinung der Jurisprudenz, dass das Eigentumsrecht im Grundgesetz ewig gelte und im Rang als Teil der Freiheitsrechte höher stehe als jeder soziale Anspruch.

22.23: Abendroth verweist auf eine Parallele: die Klage Bayerns gegen die Ostverträge 1972. Hier wollte man über die Urteilsbegründung festgestellt haben, dass die DDR kein gleichrangiger, souveräner Staat sei und alle Verträge mit ihr jederzeit wieder gekündigt werden können.

 

Zu den Berufsverboten

26:00: Abendroth erläutert anhand der Berufsverbote im öffentlichen Dienst verfassungspolitische Taktiken der Gegenseite. Mit dem sogenannten „Adenauer-Erlass“ von 1950 wollte man sicherstellen, dass nicht das Verfassungsgericht, sondern die Bundesregierung entscheiden könne, welche Organisationen als „verfassungsfeindlich“ zu gelten habe. Die Studentenbewegung und Antinotstandsbewegung veränderten dann kurzfristig die Lage, sodass dieser Erlass nicht mehr verwendet wurde.
Mit dem „Radikalenerlass“ von 1972 kam dann der Rückschlag und es wurde – wie das Beispiel der Berufung von Horst Holzer zeigte – der Begriff der Verfassungsfeindlichkeit eingeführt. Über die Verfassungsfeindlichkeit entscheiden die Behörden allein. Und das betreffe dann nicht nur DKP-Mitglieder, sondern man könne in Bayern bereits als Mitglied der GEW vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen werden.

 

Ost-West-Konflikt

34:45 Die Diskussion widmet sich noch der DDR und den Potsdamer Verträgen. Abendroth macht deutlich, dass Kriege nur entstehen, wenn die Regierungen glauben, sich diese auch innenpolitisch erlauben zu können und nennt als Beispiel die Entwicklung des Vietnamkriegs.

„Sind die Antikriegsbewegungen und die auf Abrüstung drängenden Bewegungen zu stark, wird niemand auf der Welt einen Krieg beginnen.“

38:10: In den sozialistischen Staaten sind die bürgerlichen Rechte stark beschränkt. Die Gesamttendenz zu Bürger- und Freiheitsrechten hätten laut Abendroth immer dann Rückschläge erlebt, wenn die Bürgerrechtsbewegungen in den kapitalistischen Nachbarländern auch große Rückschläge erlebten.

40:10: Abendroth kommt am Ende zur Stagnationsphase des Monopolkapitalismus und der Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den westlichen und den östlichen Ländern zurück und fasst die oben genannten Thesen noch einmal zusammen.

  • Man müsse erstens nach Methoden suchen um die Arbeitnehmermassen langsam in diese Probleme einzuführen und den Arbeitnehmermasse klarmachen, dass sie um ihre materiellen Positionen notfalls auch kämpfen müssen und jedenfalls keine starken Reduktionen hinnehmen dürfen.
  • Man müsse ihnen zweitens auch klarmachen, dass sie um ihre Mitbestimmungspositionen kämpfen müssen, um sie zu halten und um wenigstens kontrollieren zu können, was geschieht.
  • Denn nur dann seien sie, drittens, auch fähig um ihre staatsrechtlichen Positionen zu kämpfen.

Denn bei den oben genannten Berufsverboten gehe es letztlich um die demokratische Struktur des Staates: Wenn jede Regierung entscheiden könne, welche Organisation verfassungsfeindlich sei, halte sie ein Ermächtigungsgesetz in der Hand, so Abendroth.

Auf diese Weise könne man auch in einer Stagnationsperiode langsam Strukturen verändern.

44:38: In diese Fragen müssten sich die Gewerkschaften einarbeiten und dann in gefestigte Positionen und in Machtpositionen umsetzen lernen, ansonsten gehe die Geschichte ein weiteres Mal über sie hinweg und er möchte keinen Dritten Weltkrieg erleben.