Geschichte der Betriebsverfassung – Teil 5

Im fünften Teil seines Seminars führt Wolfgang Abendroth seine Darstellung über die zentralen Auseinandersetzungen der Gewerkschaftsbewegung in den 1950er Jahren fort.

 

Fortsetzung Betriebsverfassungsgesetz

00:00: Abendroth erinnert an den „unerhörten technologischen Aufschwung“ jener Jahre, der mit einer ebenso „unerhörten Verbreiterung der Produktivkräfte und Steigerung des westdeutschen Exportanteils“ einherging.
In einer solchen Situation sei es aus seiner Sicht nur verständlich, dass sich nicht nur bürgerliche Nationalökonomen sondern auch pragmatisch handelnde Gewerkschaftsführer Illusionen hingegeben hätten. Und also schwankten die Gewerkschaftsführer hin und her, wie weit sie mit dem geplanten Betriebsverfassungsgesetz gehen könnten.

Zumindest waren sich alle Gewerkschafter einig, dass das Betriebsverfassungsgesetz der Bundesregierung nicht ausreichend und abzulehnen war.

01:38: Abendroth weist an dieser Stelle darauf hin, dass die ehemaligen kommunistischen Gewerkschaftler zu dieser Zeit längst „ausgestiegen“ waren. In Westdeutschland waren sie durch den sich anheizenden Kalten Krieg politisch völlig isoliert und das Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 hatte der Kommunistischen Partei die volle Legalität entzogen und kommunistische Funktionäre, etwa in den Gewerkschaften, dem polizeilichen Zugriff ausgeliefert. Seiner Meinung nach konnte dies alles ohne großen Widerspruch geschehen, weil die westdeutschen Arbeiter gesehen hätten, dass der Lebensstandard im Westen höher lag und die Kommunisten diesen Tatbestand leugneten.

02:55: Bei aller Einigkeit in den Gewerkschaften blieb also strittig, wieweit man mit Gegenaktionen gehen könne. Ein Teil der Gewerkschaftsführer war der Meinung, man müsse wenigstens Demonstrationsstreiks riskieren. Die Mehrheit der Gewerkschaftsführer war jedoch anderer Auffassung. Bei einer Niederlage, so ihr Argument, drohe nicht nur der Verlust der verbliebenen Rechte, sondern auch eine Verschärfung reaktionärer Tendenzen in anderen Bereichen. Und die Verschärfung der reaktionären Tendenzen, etwa im Arbeitsrecht, stieg bereits ins Extrem.

 

Demonstrationsstreik der IG Druck und Papier 1952

05:10: Das Resultat der Diskussion war, einen Demonstrationsteilstreik mit der kampfstärksten und sichersten Gewerkschaft zu riskieren: mit der IG Druck und Papier. So kam es zum sogenannten Zeitungsstreik von 1952. Doch die Gegenseite ließ sich nicht beeindrucken, da sie wusste, dass diese Beschränkung der Gewerkschaften auf einen Teilstreik ja schon eine Konzession an eine negative eingeschätzte Realität war. Die Arbeitgeber nutzten also die diese Zurückhaltung und machten keine Zugeständnisse mehr, wie beim Mitbestimmungsgesetz von 1951. Das Betriebsverfassungsgesetz trat schließlich im November 1952 in Kraft.

06:35: In der Gesamtbewertung hat das Betriebsverfassungsgesetz für Abendroth den Hauptmangel, dass darin der Betriebsgemeinschaftsgedanke als juristische Regel gesetzlich festgeschrieben blieb. Daran änderten auch die leichten Verbesserungen in späterer Zeit nichts. Dieser Gedanke soll helfen, so Abendroth weiter, das Denken der Arbeitnehmer, der Gewerkschaften und ihrer Funktionäre, das Denken in Antagonismen und Widersprüchen durch das Denken in Betriebs- oder darüber hinaus Volksgemeinschaft zu ersetzen.

08:29: Abendroth fasst zusammen: Dieser Kampf ging verloren, auch wenn im Bundestag die SPD noch gegen dieses Gesetz stimmte.

„Aber es war nun ein Tatbestand. Und Tatbestände haben die Eigenschaft, immer auch ideologisch zu wirken. Ist einmal ein Tatbestand da, eine Machtlage fixiert, so fixiert sich – kämpft niemand dagegen – auch weithin das Denken, das dieser Machtlage entspricht. Also hier das Denken nicht mehr im antagonistischen Kampf von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, der stets durchgefochten werden muss, sondern das Denken in betriebsgemeinschaftlichen Interessen, in identischen Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Und das ist das Problem vor dem seither die Gewerkschaftsbewegung immer steht.“

10:02: Um sich dem gesellschaftlichen Denken anzupassen und in keine allzu große neue Schwierigkeiten zu geraten habe schließlich die Gewerkschaftsbewegung sehr bald eine damals „glänzend geleitete Institution“, das Wirtschaftswissenschaftliche Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes (WWI) umbesetzt und seinen „wissenschaftlich ausgezeichnet Leiter“ Viktor Agartz ersetzt. Und sie habe dann zum Teil immer in sozialpartnerschaftlichem Denken gesteckt, ohne die antagonistische Struktur der Gesellschaft zu erkennen.