Geschichte der Betriebsverfassung – Teil 2

Im zweiten Teil seines Seminars schildert Wolfgang Abendroth die Entwicklung des Kampfes um innerbetriebliche Rechte und Kontrolle von Betrieben von der Zeit der deutschen Revolution 1918 bis zum Ende der faschistischen Diktatur 1945.


Die gescheiterte Sozialisierung, die Niederlage der Räte und das Arbeitsgemeinschaftsabkommen von 1918

0:20: Ausgangspunkt der Darstellung Abendroths sind die Arbeiter- und Soldatenräte, wie sie sich in der Revolution im November 1918 konstituierten. Er macht deutlich, dass sich mit dem System der Betriebsvertrauensleute eine Gegenform zu jenen Betriebsvertretungen gebildet hatte, die noch auf das Hilfsdienstgesetz von 1916 zurückgingen. (siehe Teil 1 des Seminars).

2:58: Diese neuen Betriebsvertretungen der Räte erhoben, wie ihre russischen Vorbilder, einen doppelten Anspruch: erstens zusammen mit den Soldatenräten die politische Macht des Staates zu übernehmen und den Staat in die Hand der arbeitenden Bevölkerung zu bringen und zweitens die Führung der Betriebe an sich zu ziehen und Produktionsprozess in sozialistische Formen überzuleiten.

4:35: Doch im weiteren Revolutionsprozess wurde rasch gegen diese Tendenz entschieden und endete mit dem Revolutionsprozess in den Januarkämpfen von 1919.
Erstens organisierte sich der Staat demokratisch-parlamentarisch und nicht im Rätesystem. Diese staatliche Macht garantierte den Erhalt der alten ökonomischen Machtsituation.

6:00: Zweitens hatten sich die alten gewerkschaftlichen Organisationen (freigewerkschaftlich, christlich, Hirsch-Dunckersche) von vornherein gegen das System der Betriebsräte und deren Machtposition entschieden, da sie darin nur eine Konkurrenz ohne Zukunftsträchtigkeit sahen.
Drittens hatte die deutsche Kapitalistenklasse ab Oktober 1918 damit begonnen, „Überleitungsmanöver“ zu machen, um neue politische Formen für die Zeit nach der Niederlage zu gebären. Die Führung der Sozialdemokraten und der Gewerkschaften wurden hierbei gezielt eingebunden, um eine Revolution wie in Russland zu verhindern. So kam es zum Arbeitsgemeinschaftsabkommen von 1918, mit dem Ziel, Sozialisierungen abzuwenden. Die gewerkschaftliche Führung wusste, dass die revolutionären Betriebsräte mit diesem arbeitsgemeinschaftlichen Kompromiss nicht vereinbar waren, da diese die Vergesellschaftung der Produktionsmittel forderten.

13:25: Abendroth erinnert daran, dass es innerhalb der Sozialdemokratie zu großen Auseinandersetzungen über die Zukunft der Räte gekommen war. Die Fortführung des Hilfsdienstgesetzes von 1916 wurde ausgeschlossen und es wurde sogar eine Sozialisierungskommission geschaffen, die jedoch ohne Ergebnis blieb.

14:33: In der Zwischenzeit wurden die politischen Machtverhältnisse durch die Januarkämpfe in Berlin 1919 und die Ermordung linker Arbeiterführer entschieden. Die anschließenden Wahlen zur Nationalversammlung hält Abendroth in Bezug auf die realen Machtverhältnisse für unbedeutend.

16:15: Die politischen Positionen der Räte wurden schließlich Stück für Stück durch die Aktivitäten der Reichsregierung und der Freikorps zurückgenommen und zerschlagen. Die Frage der sozialen und betrieblichen Forderungen der Räte war allerdings noch offen.


Das Betriebsrätegesetz von 1920

17:17: Nach langer Auseinandersetzung sei man innerhalb der Sozialdemokratischen Partei zum Ergebnis gekommen, dass die Abschaffung der neuen Betriebsräte (wie es Friedrich Ebert und Phillip Scheidemann forderten) nicht machbar sei und man in dieser Frage politische Konzessionen machen müsse. Der Wortführer dieses Ansatzes war Hugo Sinzheimer, der den Artikel 165 der Weimarer Reichsverfassung erarbeitete und so die Grundlage für die Verankerung der Räte im Wirtschaftsleben legte. Trotz der politischen Niederlage der Räte hielten die Arbeiter in den Betrieben und die Gewerkschaftsmitglieder – entgegen ihren Führungen – an der Forderung zugunsten der Betriebsräte fest und konnten sie auch praktisch durchsetzen.

19:35: So entstand in der Nationalversammlung Ende 1919 ein Betriebsrätegesetz und es wird im Januar 1920 beschlossen. Damit wurden Betriebsräten dauerhaft gewisse Rechte eingeräumt, wobei man Arbeiter und Angestellte bewusst rechtlich trennte. Von nun an konnten Vertreter in die Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften entsandt werden, wenn auch mit sehr eingeschränkten Kontrollmöglichkeiten.

21:21: Allerdings wurde bereits der Gesetzesentwurf von vielen Arbeitern abgelehnt, weil sich mit ihm die faktische politische Lage in vielen Betrieben verschlechterte.

23:44: Der Kompromiss des Betriebsrätegesetzes in Regierung und Nationalversammlung führte daher zu großen Demonstrationen mit hunderttausenden Arbeitern gegen dieses Gesetz. Und es kam zum sogenannten „Blutbad vor dem Reichstag am 13. Januar 1920“. Doch das Gesetz selbst war nicht mehr aufzuhalten.

24:55: Auch dass größten Industrieverband, dem Deutschen Metallarbeiterverband, der USPD-Mann Robert Dißmann zum Vorsitzenden gewählt wurde, habe nichts mehr an den Machtverhältnissen ändern können. Und so blieb das Betriebsrätegesetz als Sieg über die Arbeiterbewegung, die mehr haben wollte und bereits mehr hatte, erhalten. In der nächsten Phase, in der „Restauration der Weimar Republik“ (Abendroth), habe das das Gesetz zumindest als Rückzugsbasis und Verteidigungschance gedient. Bis zur Machtergreifung des Faschismus habe sich niemand mehr getraut, die darin enthaltenen Rechte zu kassieren.


Übergang zum faschistischen System und Kapitulation der Gewerkschaftsführung

29:20: Abendroth schildert nun weiter, dass sich die Weimarer Republik in verschiedenen Stufen von Klassenkämpfen und Klassenmachtverschiebungen von einer nur-bürgerliche Republik in eine restaurativ-bürgerliche Republik verwandelte. Alle großen sozialpolitischen Errungenschaften (Arbeitslosengesetz, Arbeitsgerichtsgesetz u.a.) in dieser Periode wurden durch offene Klassenkämpfe und nicht mehr durch Klassenkompromisse durchgesetzt. Daraufhin wandelt sich die Republik unter Reichskanzler Heinrich Brüning in den Staat der bürgerlich-bürokratischen Diktatur und des Ausnahmerechts, der dann in den Staat einer brutal offenen faschistischen Diktatur umschlug.

32:10: Nach Hitlers Machtübernahme im Januar 1933 wurden die Betriebsrätewahlen im März und April 1933 noch einmal zu einem Demonstrationsmittel gegen die faschistische Diktatur: Die rechtextreme NSBO konnte sich in den Wahlen nicht durchsetzen und erhielt nur 25% der Stimmen. Diese Stimmen seien laut Abendroth im wesentlichen Stimmen der Angestellten und nicht der industriellen Arbeiter gewesen. Die Arbeiter hätten am gewerkschaftlichen Organisationsprinzip festgehalten und es gegen den Willen großer Teile der Gewerkschaftsführung verteidigt.

Denn die Gewerkschaftsführung habe gehofft sich noch retten zu können. Nach dem Ermächtigungsgesetzt begannen sie mit den christlichen, den Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine und mit der NSBO über eine einheitliche Gewerkschaftsorganisation zu verhandeln; auf der Grundlage der Ideologie der NSBO, dass Arbeitnehmer- und Abreitgeberinteressen identisch seien. Die Gewerkschaftsführung kapitulierte in der Folge bis zur kampflosen Zerschlagung der Gewerkschaften nach dem ersten Maifeiertag am 2. Mai 1933 und der Errichtung der Deutschen Arbeitsfront (DAF).

37:50 Damit waren auch die Tage des Betriebsrätegesetzes gezählt und es wurde durch das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit ersetzt. Dieses institutionalisiert die DAF als einzig zulässige Arbeitnehmerorganisation und es formt die Betriebsräte um in ein Beratergremium für den „Führer“ des Unternehmens.

39:30: Gegen Ende dieses Abschnitts kommt Abendroth zum Ergebnis, dass sich die Kapitulation vor Unmenschlichkeit nie lohne. Das Dritte Reich konnte die Position, alle Betriebsrechte, wie sie seit 1898 erkämpft waren, und alle gewerkschaftlichen Organisationen zu vernichten, bis zum Ende des zweiten Weltkriegs durchhalten – mit einer Intensität, wie das keinem anderen faschistischen Systems gelungen ist. Und so hatten die deutschen Arbeiter nur einen sehr geringen Anteil an der Selbstbefreiung vom Faschismus.